Neue Risiken für Arbeitgeber?

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Kommt es im Arbeitsverhältnis zum Streit, greifen Arbeitgeber häufig zum Mittel der Freistellung, um weiteren Eskalationen und einer Störung des Betriebsfriedens durch den Arbeitnehmer entgegen­zuwirken. Auch – und in der Praxis vor allem – nach Ausspruch einer Kündigung wird der ­gekündigte Arbeitnehmer oft nicht mehr beschäftigt. Hierdurch gerät der Arbeitgeber regelmäßig in Annahmeverzug mit der Folge, dass er den Arbeitnehmer grundsätzlich weiterhin (gegebenenfalls nachträglich) vertragsgemäß vergüten muss. Doch steht dem Arbeitnehmer darüber hinaus auch ein Anspruch auf Schadensersatz gegen den Arbeitgeber zu? Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat diese Frage in einer aktuellen Entscheidung (BAG, Urteil vom 29.02.2024, 8 AZR 359/22) grundsätzlich bejaht.

Der vom BAG entschiedene Sachverhalt betraf einen eher ungewöhnlichen Fall aus dem Profisport: Der ­Kläger war Kapitän einer Eishockeymannschaft der 2. Deutschen Eishockeyliga. Nach coronabedingtem ­Abbruch der Spielsaison im Jahr 2020 kündigte der ­Verein das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis betriebsbedingt und stellte ihn vom Trainingsbetrieb frei. Hieran hielt der Verein auch während der folgenden Kündigungsrechtsstreitigkeiten fest und weigerte sich, den Kläger weiterhin zu beschäftigen und am Training teilnehmen zu lassen. Der Kläger machte daraufhin geltend, ihm sei durch die Freistellung ein Schaden in seinem beruflichen Fortkommen entstanden. Aufgrund des Ausschlusses vom Mannschaftstraining habe er seine beruflichen Fertigkeiten als Eishockeyprofi nicht weiterentwickeln und verbessern können. Dadurch habe sein „Marktwert“ gelitten. Dies habe unter anderem dazu ­geführt, dass er bei seiner Anschlussbeschäftigung in der Oberliga nur noch eine geringere Vergütung erzielt habe. Er verlangte von seinem Ex-Verein, ihm den hieraus entstandenen Schaden zu ersetzen.

Nachdem der Kläger in den Vorinstanzen bereits einen Teilerfolg erzielt hatte (Arbeitsgericht und LAG hatten ihm einen Schadensersatzanspruch in Höhe von zwei Bruttomonatsgehältern zuerkannt), landete der Fall schließlich beim 8. Senat des BAG. Dieser verneinte ­einen (weitergehenden) Anspruch letztlich nur deshalb, weil der Kläger den ihm entstandenen Schaden nicht ausreichend dargelegt und beziffert hatte. Einen ­Anspruch dem Grunde nach sah der Senat jedoch durchaus. Die diesbezüglichen rechtlichen Erwägungen des BAG sind keineswegs eishockeyspezifisch, sondern auch auf Sachverhalte der normalen Arbeitswelt übertragbar.

Anspruchsgrundlage: § 280 Abs. 1 BGB

Das BAG stützt sich zur Anspruchsbegründung auf die zivilrechtliche Grundnorm von § 280 Abs. 1 BGB (Schadensersatz wegen Pflichtverletzung aus dem Schuld­verhältnis). Es nimmt dabei Bezug auf seine ständige Rechtsprechung, wonach ein Arbeitnehmer im bestehenden Arbeitsverhältnis grundsätzlich einen aus dem Arbeitsvertrag in Verbindung mit § 242 BGB und ­Artikel  1 und 2 GG abgeleiteten Anspruch auf Beschäftigung hat. Dieser verpflichte den Arbeitgeber nicht nur zur tatsächlichen Beschäftigung des Arbeitnehmers, sondern auch zum Schadensersatz bei pflichtwidrig unterlassener ­Beschäftigung.

Ein solcher Schadensersatzanspruch besteht nach Ansicht des 8. Senats neben dem Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers beziehungsweise unabhängig von diesem. Denn Schutzzweck des Beschäftigungsanspruchs sei ausschließlich das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers und dessen Interesse an tatsächlicher Beschäftigung, nicht hingegen seine finanzielle Absicherung (durch Vergütungszahlung). Das bedeutet im Ergebnis: Die Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers kann den Arbeitgeber unter Umständen teurer kommen als die Beschäftigung, weil er zusätzlich zur Vergütung auch noch Schadensersatz zahlen muss.

Problem: Darlegung und Bezifferung des Schadens

Schwieriger als die Herleitung des Anspruchs dem Grunde nach ist die Ermittlung des dem Arbeitnehmer konkret entstandenen (Vermögens-)Schadens. Hieran war der klagende Eishockeyspieler in dem vom BAG entschiedenen Fall letztlich gescheitert. Nach Ansicht des BAG ist es für die Darlegung eines Schadens zwar grundsätzlich aus­reichend, wenn der Arbeitnehmer Umstände darlegt, aus denen sich nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge oder den besonderen Umständen des Falls die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts ergibt; das Gericht kann die Schadenshöhe dann nach freier Überzeugung im Wege der Schätzung ermitteln (§ 287 ZPO), selbst wenn das Ergebnis der Schätzung mit der Wirklichkeit vielfach nicht übereinstimmt. Der Geschädigte muss jedoch zumindest greifbare Anknüpfungstatsachen darlegen, anhand derer eine Schadensschätzung möglich ist. Diese Anforderungen sah das BAG im entschiedenen Fall als nicht erfüllt an. Eine pauschale Schadensschätzung in Anlehnung an die Rechtsprechung zur Nichtbeschäftigung von Bühnenkünstlern – wie sie noch die Vorinstanz befürwortet hatte – lehnte das BAG ab, weil diese auf professionelle Mannschaftssportler nicht übertragbar sei.

Der beklagte Eishockeyverein entging damit am Ende nur mangels ausreichenden Vortrags seines früheren Kapitäns knapp einer höchstrichterlichen Verurteilung zu weiteren Schadensersatzzahlungen (die vorinstanzliche Verurteilung zur Zahlung eines Teilbetrags in Höhe von zwei Brutto­monatsgehältern hatte der Verein im Revisionsverfahren nicht mehr angegriffen).

Folgen für die Praxis

Die Entscheidung des BAG wird nicht ohne Folgen für die Praxis bleiben. Bei der rechtlichen Aufarbeitung unzulässiger Freistellungen geht es zwar in der Regel vorrangig um Ansprüche des Arbeitnehmers auf entgangene Vergütung unter dem Gesichtspunkt des Annahmezugs (§ 615 BGB). Diesbezüglich hat das BAG jedoch in letzter Zeit seine Rechtsprechung zunehmend verschärft, insbesondere was ein mögliches böswilliges Unterlassen des ­Arbeitnehmers bei der Erzielung anderweitigen Verdienstes anbelangt (vgl. zuletzt etwa BAG, Urteil vom 07.02.2024 – 5 AZR 177/23). Anders als früher können Arbeitnehmer bei Freistellungen – insbesondere nach einer unwirksamen Kündigung – nicht mehr ohne weiteres „dulden und ­liquidieren“, sondern müssen zur Vermeidung von ­Anspruchsverlusten nachweisbare (Bewerbungs-)Aktivitäten entfalten. Infolgedessen führt eine Freistellung mittlerweile nicht mehr gleichsam automatisch dazu, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer weiterhin die (volle) Vergütung zahlen muss.

Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass freigestellte Arbeitnehmer sich in Zukunft häufiger nicht mehr auf die Geltendmachung von Verzugslohn­ansprüchen beschränken, sondern zusätzlich Schadens­ersatzforderungen gegen den Arbeitgeber erheben ­werden – und sei es nur, um weitere Verhandlungsmasse für einen angestrebten Vergleich zu schaffen. Ein nicht bestehen­der Annahmeverzugslohnanspruch lässt sich zwar – ­zumindest nach bisheriger Rechtsprechung des 5. Senats des BAG – nicht über den Umweg des Schadensersatzes ­realisieren. Sonstige Vermögensschäden wie eine geringere Vergütung beim Folgearbeitgeber hingegen schon. Auch Nichtvermögensschäden (Schmerzensgeld) aufgrund vertragswidriger (Nicht-)Beschäftigung wurden, gestützt auf §§ 823 Abs. 1, 253 BGB, vor Instanzgerichten bereits ­erfolgreich geltend gemacht. Vor allem bei Führungs­kräften kann eine Freistellung und Nicht­beschäftigung durchaus zu empfindlichen und ­gegebenenfalls schadensersatz­fähigen Reputationsverlusten führen, insbesondere wenn sie länger andauert und ­gegenüber Dritten kommuniziert wird.

Arbeitgeber sind daher – noch mehr als bisher – gut ­beraten, vor Ausspruch einer Freistellung auch die damit einher­gehenden (finanziellen) Risiken zu berücksichtigen und mit entsprechendem Fingerspitzengefühl zu ­agieren.

 

Author


Dr. Jan L. Teusch KLIEMT.Arbeitsrecht, Düsseldorf Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner jan.teusch@kliemt.de www.kliemt.de

Dr. Jan L. Teusch
KLIEMT.Arbeitsrecht, Düsseldorf
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner

jan.teusch@kliemt.de
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