Internationale Rechtsverfolgung im Medienbereich: Wenn ausländischen Anbietern Grenzen gesetzt werden sollen
Von Marcus M. Hotze

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Bestandsaufnahme: Social-Media-Szene in Deutschland

Die deutsche Start-up-Szene boomt und beweist Kreativität und Innovationsfähigkeit. Und doch hat sich der vielfach postulierte Wunsch nach einem „deutschen Facebook“ bislang nicht erfüllt. Ob das wirklich schlimm ist, sei einmal dahingestellt. Zweifelsfrei hat das Streben nach einem Social-Media-Angebot aus Deutschland, das weltweit glänzt und begeistert, in erster Linie wirtschaftliche Gründe. Auch Aspekte des Standortmarketings nähren die Hoffnung auf einen Berliner Zuckerberg. Tatsächlich wird eine deutsche Killerapplikation aber auch für Vorfreude bei Regulatoren, Aufsichtsbehörden und Wettbewerbern sorgen – denn endlich müssten bei der Beurteilung der rechtlichen Rahmenbedingungen im Einzelfall keine komplizierten internationalen Verflechtungen mehr beachtet werden.

Zugegeben, dies mag etwas ketzerisch klingen. Ganz unzutreffend ist es aber nicht. Denn das Dilemma von Gesetzgebung und Exekutive in der digitalen Welt ist kaum noch zu verbergen. Nicht nur, dass die Konvergenz der Medien für teils bizarre Regulierungsunterschiede sorgt, die vom Nutzer als nahezu gleichwertig empfundene Medienangebote vollkommen anderen Rahmenbedingungen aussetzt. Gerade auch die globale Ausrichtung vieler Angebote, die auf nationale Grenzen keine Rücksicht mehr nehmen, wirft eine Vielzahl (meist noch unbeantworteter) Rechtsfragen auf.

Das typische Social-Media-Angebot ist nun einmal international ausgerichtet und sieht in fremden Ländern eher potentielle Märkte für zusätzliche Nutzer oder Werbeerlöse denn spezifisch regulierte Jurisdiktionen. In der Praxis nehmen die Fragen zu, welche Gerichte international zuständig sind, welches materielle Recht im Einzelfall Anwendung findet und wie etwa einstweilige Verfügungen im Ausland vollzogen und vollstreckt werden können. Vorzufinden ist international und (zumindest in materieller Hinsicht) auch innerhalb der EU ein veritabler Flickenteppich. Es besteht also unternehmerische Unsicherheit – und damit Handlungsbedarf.

Im Blickpunkt: LG Berlin in Sachen „WhatsApp“

Ein Versäumnisurteil des LG Berlin (Az. 15 O 44/13) vom 09.05.2014 ist auch vor diesem Hintergrund in den vergangenen Wochen Gegenstand öffentlicher Diskussionen geworden. Warum? Der weltweit (trotz aller aus datenschutzrechtlicher Sicht diskutierten Bedenken) sehr beliebte Kommunikationsdienst „WhatsApp“ ist vom Bundesverband der Verbraucherschutzzentralen abgemahnt und im Wege eines Versäumnisurteils dazu aufgefordert worden, ein ordentliches und den Anforderungen des § 5 Telemediengesetz (TMG) genügendes Impressum bereitzuhalten. Ferner wurde angemahnt, dass er seine Allgemeinen Geschäftsbedingungen für deutsche Nutzer auch in deutscher Sprache anzubieten hat – zumindest dort, wo sich das vollständige Angebot ansonsten in perfekter deutscher Sprache an einen deutschen Empfängerkreis richtet.

Das Versäumnisurteil droht der WhatsApp Inc. in Kalifornien ein Ordnungsgeld an (ersatzweise dem CEO Ordnungshaft), sollten die als wettbewerbswidrig aufgezeigten Missstände nicht unterlassen werden. Hat das große Zittern unter der kalifornischen Sonne nun schon begonnen? Man weiß es nicht. Aber die Tatsache, dass sämtliche Abmahnungen unbeantwortet blieben und sich die WhatsApp Inc. auch der vom Landgericht Berlin veranlassten förmlichen Zustellung durch Verweigerung der Entgegennahme entzogen hat, lässt eine gewisse Gelassenheit vermuten. Doch jetzt wird es erst richtig interessant: Mit Spannung wird abzuwarten sein, wie und ob das erstrittene Versäumnisurteil nun zugestellt und damit vollzogen werden kann – was noch immer nicht abschließend die Frage beantwortet, ob der Titel dann auch im Ausland anerkannt und für vollstreckbar erklärt wird. Hier ist anwaltliches Geschick gefragt, wenn auch gerade US-amerikanische Gerichte diese Frage, betreffend ausländische Entscheidungen, ganz überwiegend nach dem jeweiligen örtlichen Zivilprozessrecht beurteilen. Es bleibt also abzuwarten, welche Konsequenzen das Urteil wirklich haben wird.

Das Signal ist klar: Nationales Recht ist auch in einer globalisierten Welt zu beachten

Nicht zu unterschätzen ist aber – wie in vergleichbaren Fällen – das mit der Berliner Entscheidung verbundene Signal: Eine nationale Jurisdiktion zeigt Flagge – und verweist unter Rückgriff auf nationales Wettbewerbs- und Verbraucherschutzrecht darauf, dass auch in der globalisierten Welt der sozialen Medien das nationale Recht seine Bedeutung behalten kann, wenn erkennbar Inlandsbezüge vorliegen oder bestimmte inländische Nutzerkreise gezielt angesprochen werden. Mag ein Urteil aus Deutschland im schlimmsten Fall seitens der ausländischen Anbieter als europäische Verrücktheit weggelächelt werden – die Vergangenheit hat schon mehrfach gezeigt, dass entsprechende Verfahren durchaus zu Lerneffekten und Veränderungen geführt haben und damit faktisch Konsequenzen hatten. Denn eines ist genauso richtig: Gerade in wichtigen Märkten wie dem europäischen Markt können auch Anbieter von außerhalb nicht dauerhaft auf Konfrontationskurs etwa mit nationalem Verbraucherschutzrecht gehen.

Wer die kontroversen Diskussionen über datenschutzrechtliche Fragestellungen verfolgt hat und zum Beispiel schon einmal das zweifelhafte Vergnügen hatte, einen nach deutschem Recht als rechtswidrig einzustufenden Eintrag in einem elektronischen Medium löschen zu lassen – der wird spätestens bei dem Versuch, seinem US-amerikanischen Gegenüber die Unterschiede von Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung erklärlich zu machen, schnell den Glauben an das Gebot effektiven Rechtsschutzes in der digitalen Welt verlieren.

Fazit

Und vor diesem Hintergrund ist die „WhatsApp“-Entscheidung eine gute Erinnerung daran, dass in kollisionsrechtlicher und materieller Hinsicht Harmonisierungsbedarf auf internationaler Ebene (zumindest aber innerhalb der EU) besteht, um internationale medienrechtliche Konflikte besser beherrschbar zu machen. Bis dahin ist das Urteil ein ernstzunehmender Hinweis an in- und ausländische Unternehmen, dass es bei aller Globalität auch künftig nationale Grenzen zu beachten geben kann.

Marcus M. Hotze, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht,
HEUSSEN Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Marcus.Hotze@heussen-law.de
www.heussen-law.de

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