Legal und Tech ist die Kombination, die seit längerem die Diskussion über die Entwicklung des Rechtsmarkts beherrscht

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Jura und Technik im harmonischen Einklang als Sinnbild für die Modernisierung der Rechtsdienstleistung. Allerdings bleibt hier nicht selten ein wichtiger Bestandteil außer Acht, ohne den keine Dienstleistung erfolgreich erbracht werden könnte: der Mensch.

Das ist nicht nur nicht überraschend, es ist nahezu symptomatisch für uns Juristen.

Die Rechtswissenschaft ist einer der Studiengänge, in denen ein beachtlicher Teil der Studierenden absehbar in die Selbständigkeit gehen wird. Auch zeichnet sich frühzeitig ab, dass Absolventen nicht selten mit Beginn ihrer Karriere auch zu Führungskräften werden (müssen). Dennoch entlässt uns das Studium bestenfalls als „Fachidioten“. Wir können schwierige Fälle auf dem Papier lösen, aber lernen nicht, mit Menschen zu arbeiten.

In der Anwaltschaft hat sich traditionell ein autokratischer Führungsstil durchgesetzt. Die hierfür erforderliche Autorität wird sozusagen qua Berufsstand eingefordert. Eine Ausbilderin für Rechtsanwaltsfachangestellte hat mir einmal in einem Gespräch gestanden: Den Beruf der Rechtsanwaltsfachangestellten will niemand mehr ergreifen, weil Anwälte als grauenhafte Führungskräfte verschrien sind. Da ist es wenig verwunderlich, dass sich seit 1998 die Anzahl der Personen, die eine Ausbildung zur Rechtsanwaltsfachangestellten ergreifen, nahezu halbiert hat (siehe hier).

Dennoch halten Kanzleien nach wie vor an der Pyramidenstruktur fest. „Regiert“ wird top-down. Für die Führungskraft von heute ein echtes Manko, für den modernen Dienstleister geradezu geschäftsschädigend.

Die unumstößliche Wahrheit ist aber: Das qualifizierteste Legal und das schnellste Tech können nicht zum Erfolg beitragen, wenn wir nicht verstehen, dass die Menschen dahinter der eigentliche Schlüssel zum Erfolg sind.

Die moderne Kanzlei verlangt nach moderner Führung: Die Pyramide ist längst nicht mehr zeitgemäß. Es etablieren sich bereits neue Modelle, deren Namen hier eigentlich keine Rolle spielen. Wichtig ist nur: Expertenteams sollten aus unterschiedlichsten Professionen bestehen (1), nicht nur Anwälte sollten aktiv in die Entwicklung der Arbeitsabläufe einbezogen werden (2), und die interne Kommunikation und Zusammenarbeit sollten auf Augenhöhe erfolgen (3).

1. Wir alle sind Experten

Pflaster sollen bekanntermaßen schnell abgerissen werden, daher kurz und knapp: Rechtsanwälte sind nicht der Dreh- und Angelpunkt der Kanzleiarbeit. Jahrelang drillt uns das Studium auf den Erfolg des Examens. Hält man es in Händen, geht damit nicht selten der Irrglaube einher, dass dieses Stück Papier, die mit Tinte gedruckte Note, Leistungen entspricht, die nicht nur Respekt, sondern auch eine Art immerwährende Besserstellung gegenüber all jenen rechtfertigen, die diesen Leidensweg nicht durchschritten oder schlechter beendet haben.

Dabei wird aber nicht bedacht, dass bis zu 80% der Arbeit in Kanzleien außerhalb des Schriftsatzes, also außerhalb der eigentlichen juristischen Leistung, stattfinden: Posteingang (digital oder händisch), Aktenpflege, Fristen- und Terminmanagement, Postversand, Kostenverfahren, Zwangsvollstreckung, Rechnungsprüfung und -versand, Controlling, Personaladministration usw. In all diesen Bereichen lauern nicht nur echte (Haftungs-)Risiken. Der Erfolg dieser Abteilungen entscheidet vielmehr nicht selten auch über die Belastbarkeit und den Erfolg des gesamten Geschäftsmodells.

Die Kollegen haben daher – genau wie wir Anwälte auch – jahrelange Ausbildungen durchlaufen und können wertvolle Qualifikationen vorweisen. Moderne und insbesondere größere Kanzleien setzen für diese nichtjuristischen Aufgaben daher auch auf unterschiedliche Berufsgruppen: neben Rechtsanwaltsfachangestellten auf Controller, Legal-Engineers, Wirtschaftsjuristen, Callcenter-Agents u.v.m. – allesamt hochqualifiziert in ihrem Fach.

Dennoch werden diese Kollegen in Kanzleien nicht selten wie Mitarbeiter zweiter Klasse behandelt. Aber was macht uns Anwälte besser als diese „Berufsträger“?

Mangelnde Vielfalt der Berufe und Respekt vor deren Qualifikation sind leider nicht die einzigen strukturellen Defizite im Rechtsmarkt. Hinzu kommt, dass die Anwaltschaft auch 2022 noch von Männern dominiert wird. Der Anteil von Rechtsanwältinnen liegt bei nur 35% (siehe hier). Das verwundert nicht, denn die Aufstiegschancen sind limitiert. Der Anteil der Ernennungen weiblicher Partner liegt laut JUVE 01/2022 bei zuletzt 34% und verteilt sich zudem auf nur wenige Rechtsgebiete. Warum? Fachlich stehen Frauen ihren männlichen Kollegen sicher in nichts nach. In Sachen Führung laufen sie ihnen sogar deutlich den Rang ab. Laut der McKinsey-Studie „Women in the Workplace 2021“ werden Frauen im Vergleich zu Männern als weitaus stärkere Führungspersönlichkeiten wahrgenommen, aber der wichtige Beitrag, den sie damit zum Unternehmenserfolg leisten, wird weder belohnt noch anerkannt. Warum das so ist, bleibt ein Geheimnis. Ein Erfolgsrezept ist es jedenfalls nicht.

2. Gemeinsam führt es sich besser

Der mangelnde Anteil der Betriebswirtschaft am Jurastudium tritt auch bei Kanzleiabläufen schmerzhaft zutage. Nicht selten ähneln Kanzleien einer Bürogemeinschaft. Jeder Rechtsanwalt etabliert mit seiner Supportkraft individuelle Abläufe zu Standardtätigkeiten.

Auch hier ist es an der Zeit umzudenken: Lassen sich wiederkehrende Arbeitsschritte in Expertenteams bündeln? Ist der etablierte Ablauf tatsächlich der effizienteste, ist jeder Arbeitsschritt wirklich erforderlich oder nicht vielmehr ein Festhalten an Mustern der Vergangenheit? Sind die Arbeitspakete geschnürt, folgt die Frage: Wer kann die Schritte übernehmen? Es sollten Expertenteams gebildet und die Verantwortung an sie übergeben werden.

Dieses Vorgehen bietet die Chance zu guter Führung und die Möglichkeit, mit zufriedenen Teams eine ernsthaft belastbare Dienstleistung zu erbringen: Zu unterstellen, dass nur Rechtsanwälte Kanzleiabläufe kreieren könnten, ist antiquiert. Die Experten vom Fach wissen besser, was wann zu tun ist. Das gilt für die Spezialisten am Telefon (ein eigenes Callcenter gibt es in den seltensten Fällen) ebenso wie für Rechtsfachwirte und Rechtsanwaltsfachangestellte. Diese Experten müssen mit an den Tisch, die Abläufe mitdiskutieren und gemeinsam absegnen. Die technische Unterstützung durch Legal-Tech ist nur die Kirsche auf dem Kuchen. Der effiziente Ablauf ist das Fundament, auf dem alles steht. Die Verantwortung für die Abläufe sowie deren Einhaltung liegen dann ebenfalls bei den Teams, die wiederum von Fachkräften geführt werden. Letztere können, müssen aber niemand mit juristischem Staatsexamen sein. Wer einen Ablauf mitentwickelt, fühlt sich wertgeschätzt und kann diesen auch gegenüber dem Team vermitteln und vor allem nachhalten.

Zudem bietet es die Chance zur Mitarbeiterförderung: Lässt man Menschen den Raum, eigenverantwortlich kreativ zu sein, offenbaren sich nicht selten ungeahnte Talente. Ich habe Anwälte gesehen, die ins Legal-Engineering oder sogar ins Controlling gewechselt sind, Rechtsanwaltsfachangestellte, die komplexe Changeprojekte eigenverantwortlich betreut haben, Sachbearbeiter, die im Customer-Success gelandet sind. Wer Menschen im Team als Experten betrachtet, kann auch gezielt fördern. Wer sich dagegen entscheidet, wird Fachkräfte verprellen.

Und ganz nebenbei sichern gute Abläufe die eigentliche anwaltliche Dienstleistung ab, ermöglichen Qualitätsmanagement (ist auch Führung), Controlling und Ressourcenplanung. Jeder kann hier nur gewinnen.

3. Nur auf Augenhöhe sieht man sich gut

In der zitierten McKinsey-Studie findet sich der schöne Satz: „Progress is rarely made on efforts that are undervalued.“ Experten und ihre Leistungen verdienen mehr als unseren Respekt. Sie verdienen es, von uns als gleichwertig behandelt zu werden. Hierfür ist es nötig, vom eigenen Thron zu steigen und das fehlende Examen oder Vollbefriedigend nicht zum menschlichen Makel zu machen. Regelmäßige Abstimmungen, Feedbackgespräche, Teammeetings sind bestenfalls der MVP, der kleinstmögliche Nenner.

Erforderlich ist die Erkenntnis, dass Motivation nicht nur über das Gehalt erlangt wird. Don Drapers „That’s what the money is for“ ist nur in „Mad Men“ unterhaltsam. Angemessenes Gehalt ist eine Selbstverständlichkeit. Erhöhungen oder Boni sind wichtig, aber ihre Effekte verpuffen. Langfristig motiviert sind Menschen, die sich gesehen fühlen, deren Qualifikation ernst genommen, deren Ideen gehört, deren Innovation gefördert wird, die nicht nur für Fehler gemaßregelt, sondern auch für Leistungen gelobt werden – in der Regel und nicht ausnahmsweise.

Gerade beim Umgang miteinander muss sich im Hiblick auf Frauen ebenfalls noch viel ändern. Frauen begegnen in ihrer Arbeitswelt tagtäglich Mikroaggressionen. Sie werden doppelt so häufig im Redefluss unterbrochen wie Männer. Ihre fachliche Qualifikation wird regelmäßiger in Frage gestellt, und selbst ihr Gemütszustand wird doppelt so oft kommentiert. Die McKinsey-Studie macht bei ihrer Auswertung keinen Unterschied zwischen Branchen. Ich wage mir nicht auszudenken, wie diese Zahlen aussähen, wenn man vergleichbare Erhebungen in dem von Männern dominierten Rechtsmarkt vornehmen würde. Auch ich kann Geschichten davon erzählen, wie oft ich in meinem frühen Berufsleben unterbrochen, herabgesetzt oder unangemessen kommentiert wurde. Heute bin ich Gesellschafterin in mittlerweile drei Unternehmen und kann ein gesundes Arbeitsumfeld selbst mit kreieren – und das nicht nur für Frauen.

Mir ist bewusst, dass es nicht leicht ist, mit Mustern zu brechen. Erst recht nicht, wenn diese Muster sehr tief in unserer Gesellschaft verankert sind. Daher war das schönste Kompliment zur Führung, das ich persönlich bekommen habe, dass wir sehr menschlich führen. Das ist schön, denn menschlich ist nicht perfekt. Menschlich beinhaltet Fehler. Denn Fehler werden passieren. Man vergisst die eben gepriesenen Grundsätze und entscheidet aus reiner Bequemlichkeit doch wieder autokratisch. Man hat viel zu tun und „keine Zeit zum Führen.“ Manchmal weiß man es in dem Moment auch schlicht nicht besser. Auch Führungskräfte sind keine Übermenschen. Größe besteht darin, falsche Entscheidungen zurückzunehmen, sich zu entschuldigen, Schwächen einzugestehen. Je menschlicher die Zusammenarbeit, desto besser werden eigene Schwächen und Fehler verziehen. Denn gesunde Fehlerkultur bezieht uns ein. Wir machen Fehler, wir reden offen darüber, wir werden besser.

Daher ist der vielleicht wichtigste Schritt die sorgfältige Auswahl von Führungskräften. Es handelt sich hier nämlich nicht um einen zwingenden Karriereschritt und erst recht nicht um eine im Jurastudium erworbene Qualifikation. Es ist eine Berufung, jedenfalls aber harte Arbeit.

Aller Anfang ist schwer

Es ist ein großes Glück, nun schon die zweite Kanzlei von Beginn an mit diesem Anspruch aufbauen zu können. Für etablierte Kanzleien ist der Weg in einen neuen Führungsstil sicherlich nicht leicht. Rechtsanwälten fehlt nicht selten die Begeisterung für Veränderung, und auch innerhalb der Teams stößt man oftmals auf wenig Akzeptanz. Man darf nicht vergessen: Das Assistenzbüro leitet nicht selten die eigene Autorität von der Stellung der Vorgesetzten ab und reicht die Attitüde des Chefs nach unten weiter.

Veränderungsprozesse sind mit Wachstumsschmerzen verbunden. Es ist aber an der Zeit zu erkennen, dass jedes persönliche und das Wachstum eines Unternehmens diesen Prozess durchlaufen müssen – eine Endlosschleife, da sich sowohl der Mensch als auch der Anspruch an Führung fortlaufend entwickeln. Wenn ich dieselbe Frage in fünf Jahren noch mal beleuchten sollte, käme ich vielleicht zu anderen Erkenntnissen. Aber eines weiß ich sicher: Stillstehen ist keine Option – nicht als Mensch, nicht als Führungskraft, nicht als Dienstleister.

 

katja.nikolaus@june.de

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