Einige Beobachtungen und Handlungsempfehlungen für Unternehmen

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Es gibt derzeit kaum eine Branche, die nicht von Lieferengpässen betroffen ist. Zuerst war es die weltweite Coronapandemie, die dazu geführt hat, dass Lieferketten von jetzt auf gleich unterbrochen wurden. Mittlerweile sind es die Nachwirkungen und die angezogene Nachfrage in einzelnen Regionen der Welt, die zu Engpässen bei allen möglichen Rohstoffen und Vorprodukten führen. Dabei klagen besonders Unternehmen der Automobil-, der Elektro- und der (Maschinen-)Bauindustrie. Aber auch der Handel ist betroffen wegen fehlender Halbleiter und des Mangels an Baustoffen, Holz, Containern und Kunststoff.

Was für Rechte bestehen bei Lieferengpässen?

Wer betroffen ist und Engpässe überstehen muss, stellt auch schnell die Frage nach seinen Rechten. Oft geht es um Schadensersatz. Dabei ist die Rechtslage – wie immer – komplex.

Das ist doch ein Fall von Force majeure – oder doch nicht?

Schnell wird das Schlagwort „höhere Gewalt“ und „Force majeure“ genannt. Doch das deutsche Kaufrecht kennt – anders als das UN-Kaufrecht – keine „Force majeure“. Es bedürfte einer separaten vertraglichen Regelung. Die Klausel aber hilft auch nur bedingt. Denn typische Inhalte der „Force majeure“ sind die Suspendierung der Lieferpflichten und die potentielle Möglichkeit, sich vom Vertrag zu lösen. Schadensersatz ist aber gerade nicht Gegenstand dieser Klauseln. Typischerweise wird Force majeure so definiert, dass die Nichterfüllung auf einem außerhalb des Einflussbereichs liegenden Hinderungsgrund beruhen muss. Zudem gilt, dass von der betroffenen Vertragspartei vernünftigerweise nicht erwartet werden konnte, den Hinderungsgrund bei Vertragsabschluss in Betracht zu ziehen oder den Hinderungsgrund beziehungsweise seine Folgen zu vermeiden oder zu überwinden. Es handelt sich also um extreme Ausnahmefälle, die zu Beginn der Coronapandemie sicherlich gegeben waren. Diese Begründung bei „normalen“ Lieferengpässen zu bemühen wird aber zunehmend schwieriger. Nicht alles, was die Wirtschaft derzeit behindert, dürfte als Force majeure anzusehen sein. Unternehmen sind gut beraten, etwaigen, automatischen „Force-majeure-Anzeigen“ ihrer Lieferanten mutig zu widersprechen, wenngleich umgekehrt auch nicht verschwiegen werden darf, dass sich schon der eine oder andere Kunde durch eine inhaltlich oft nicht haltbare Behauptung von Force majeure hat hinhalten lassen.

Unmöglichkeit führt zum Wegfall der Leistungspflicht …

Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) lässt die Vertragsparteien aber nicht im Regen stehen, wenn keine Force-majeure-Klausel vereinbart worden ist. Ist die Erfüllung der Leistungspflicht unmöglich oder grob unverhältnismäßig, führt § 275 BGB zu einem Wegfall der Leistungspflicht oder einem Leistungsverweigerungsrecht des Lieferanten. Die wohl herrschende Meinung geht davon aus, dass § 275 BGB auch bei einer vorübergehenden Unmöglichkeit der Leistungserbringung für die jeweilige Dauer des Leistungshindernisses anzuwenden ist.

… und oft auch zum Schadensersatz

Der (vorübergehende) Wegfall der Leistungspflicht kann auch eine Schadensersatzpflicht zur Folge haben, denn der Lieferant trägt gegenüber seinem Kunden grundsätzlich das sogenannte Beschaffungsrisiko. Der Lieferant muss also auch dann liefern, wenn ihm das nur unter erschwerten Bedingungen möglich ist. Für den Fall der Unmöglichkeit besteht ein Schadensersatzanspruch, wenn der Lieferant die Unmöglichkeit zu vertreten hat. Gleiches gilt, wenn die Leistung grundsätzlich noch möglich ist, aber nur verspätet erfolgen kann (Verzug). Auch hier haftet der Lieferant, wenn er die Verzögerung zu vertreten hat. Das Vertretenmüssen wird grundsätzlich vermutet. Also muss sich der Lieferant seinerseits entlasten, indem er nachweist, dass er alle ihm in der konkreten Situation zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um die Unmöglichkeit oder die Leistungsverzögerung zu vermeiden. Abhängig vom jeweiligen Einzelfall müsste der Lieferant dann zumutbare Alternativmaßnahmen (zum Beispiel alternative Fertigung, Lieferquellen und Transportwege) zur Vermeidung oder Abwendung des Leistungshindernisses vornehmen. Die Zumutbarkeit ist stark einzelfallabhängig.

„Alles oder nichts?“ „Jeder ein bisschen!“ ist die Antwort
Regelmäßig sind Restbestände der knapp gewordenen Waren noch vorhanden. Dann gilt im deutschen Recht der Grundsatz der Repartierung, jedenfalls wenn es sich um Vorratsschulden handelt. Repartierung heißt, dass der Lieferant grundsätzlich verpflichtet ist, den (noch) vorhandenen Vorrat proportional auf alle Gläubiger aufzuteilen, wenn er nicht zur vollständigen Befriedigung aller Kunden in der Lage ist. Der Anspruch wäre so im Übrigen gemäß § 275 Abs. 1 BGB wegen Unmöglichkeit ausgeschlossen. Tut der Lieferant dies nicht und bevorzugt einzelne Kunden (beobachtbare gängige Praxis), macht er sich gegenüber den nicht belieferten Kunden schadensersatzpflichtig.

Nach dem Engpass ist vor dem Engpass – fit für die Zukunft

Viele Unternehmen stellen sich jetzt die Frage, was sie tun können und sollten, um für die Zukunft besser gewappnet zu sein. Juristisch gibt es viele Ideen, die aber häufig unpraktisch sind. Natürlich kann man zum Beispiel Vertragsstrafen vorsehen und Exklusivität vereinbaren. Aber wird man das auch durchsetzen (können), wenn es zum nächsten Engpass kommt? Lässt es der Lieferant darauf ankommen, wenn ihm das Wasser bis zum Hals steht?

Aus meiner Sicht gibt es unabhängig von diesen Überlegungen einige Aspekte, die Unternehmen erwägen sollten. Die Verträge sollten in jedem Fall daraufhin geprüft werden, ob wirklich „harte Liefer- und Bestellannahmepflichten“ bestehen. Was hilft ein Rahmenvertrag mit langer Laufzeit, wenn der Lieferant einen konkreten Abruf ohne weiteres ablehnen kann? Lieferpflichten können mit Vertragsstrafen oder Schadenspauschalen abgesichert werden; das kann zum einen „motivierend“ wirken, zum anderen aber auch einen Schadensnachweis erleichtern. Als sinnvoll hat sich auch erwiesen, die Lieferkette zu optimieren. Viele Unternehmen haben auf ein Single-Source-Konzept gesetzt. Alle Bedarfe von einem Lieferanten zu beziehen hat oft den Vorteil günstigerer Preise. Fällt aber dieser Lieferant aus, ist die Not groß. Second Sourcing und der Bezug direkt beim Hersteller statt von einem Zwischenhändler ist bei vielen meiner Mandanten ein zunehmend attraktiver Weg. Besonders die Reduzierung von Zwischengliedern in der Vertriebskette reduziert auch die Fehleranfälligkeit zum Beispiel bei Störung eines Transports. Kombiniert man dies mit einem „Local“ Sourcing, wird dieser Vorteil noch gesteigert. Dabei ist ein Aspekt besonders im Blick zu behalten: Wer statt vom in der EU ansässigen Händler direkt vom Hersteller außerhalb der EU bezieht, kann schnell zum Einführer werden. Daraus resultieren Pflichten, über die man sich möglicherweise bislang noch keine Gedanken gemacht hat. Schließlich kommen viele Unternehmen auch zu dem Schluss, wieder eigene Lager vorzuhalten, um kurzfristige Engpässe überbrücken zu können. Just in time ist da klar im Nachteil. Wer die Kapitalbindung scheut, kann mit seinen Lieferanten auch über Konsignations- und Kanban-Lager sprechen, bei denen der Lieferant ein (in der Regel in seinen Büchern stehendes) Lager beim Kunden errichtet, aus dem dieser sich bedienen kann.

Nichts zu machen ist keine Lösung

Welchen Weg auch immer man gehen möchte, nichts zu tun ist keine Lösung. Die immer komplexer werdenden Lieferketten, die Globalisierung und Abhängigkeiten der Märkte voneinander führen unweigerlich zur Zunahme von Lieferengpässen. Die derzeitige Situation mag außergewöhnlich intensiv sein, sie wird aber nicht einmalig bleiben. Die Unternehmen müssen lebbare und rechtssichere Lösungen erarbeiten, um Lieferkrisen adäquat begegnen zu können.

 

ulrich.becker@cms-hs.com

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