Nun wird es ernst: Das Wettbewerbsregister nimmt seinen Betrieb auf

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Am 25.03.2021 hat das Bundeskartellamt den Betrieb des Wettbewerbsregisters aufgenommen – knapp vier Jahre nach Inkrafttreten des Wettbewerbsregistergesetzes (WRegG; siehe bereits hier: Einführung eines bundesweiten Wettbewerbsregisters – Deutscher AnwaltSpiegel). Unternehmen droht nun ganz konkret bei Wirtschaftsdelikten, zu denen insbesondere auch Kartellverstöße gehören, ein Eintrag in eine digitale und bundesweite „schwarze Liste“ mit potentiell weitreichenden Folgen bei Bieterverfahren für öffentliche Aufträge. Womöglich liegt es auch an dem vergleichsweise langen Zeitraum, den die Errichtung des Registers in Anspruch genommen hat, dass das Register in seiner Bedeutung „in der Wirtschaft noch völlig unterschätzt wird“, wie der Präsident des Bundeskartellamts, Andreas Mundt, kürzlich in einem Interview feststellte (vgl. Wirtschaftswoche online, 06.03.2021, Wettbewerbsregister: So bestraft das Bundeskartellamt Unternehmen (wiwo.de)).
Bis sich die öffentlichen Vergabestellen registriert haben und die Meldung der Vergehen tatsächlich startet, wird es nach Aussagen des Bundeskartellamts noch einige Monate dauern. Schon in den letzten Jahren sahen sich Unternehmen aber vermehrt mit Auslegungsfragen der relevanten vergaberechtlichen Vorschriften in §§ 123 ff. GWB konfrontiert, insbesondere was die Anforderungen an eine effektive Selbstreinigung (§ 125 GWB) betrifft. Denn wer sich selbst ausreichend von vergangenen Vergehen reinigen konnte, darf weiterhin um den Auftrag mitbieten. Man fühlt sich dabei schnell an die „Katharsis“ der griechischen Tragödie erinnert. Schon deshalb lohnt sich ein Ausblick in die zu erwartende praktische Umsetzung der Selbstreinigungskriterien durch das Bundeskartellamt. Hoffnungsfroh stimmt, dass sich die obersten deutschen Wettbewerbshüter seit der 10. GWB-Novelle bei der Bußgeldbemessung ohnehin mit der Effektivität von Compliance-Maßnahmen befassen müssen und Unternehmen deshalb zumindest mit groben Leitplanken für die Mindestvoraussetzungen an Compliance rechnen dürften.

Hintergrund
Öffentliche Auftraggeber müssen in Bieterverfahren die Zuverlässigkeit der mitbietenden Unternehmen prüfen. Bislang sind die Vergabestellen größtenteils auf externe Informationen etwa im Rahmen einer Selbstauskunft durch das Unternehmen, angewiesen. Das Wettbewerbsregister soll deshalb für mehr Transparenz sorgen und eine vollelektronische Abfrage von Vergehen eines Bieters ermöglichen. Dort kann die Vergabestelle dann künftig einsehen, ob ein zwingender (§ 123 GWB) oder fakultativer (§ 124 GWB) Ausschlussgrund vorliegt, und die notwendige Zuverlässigkeit in einem automatisierten Prozess eigenständig beurteilen.
Während Unternehmen bei Straftaten wie Betrug, Geldwäsche oder Bestechlichkeit zwingend vom Bieterverfahren ausgeschlossen werden, hat die Vergabestelle insbesondere bei Kartellverstößen ein Ermessen zu entscheiden, ob das betroffene Unternehmen trotz des Fehlverhaltens in der Vergangenheit den öffentlichen Auftrag gesetzestreu, ordnungsgemäß und sorgfältig ausführen kann.
Das Wettbewerbsregistergesetz (WRegG), das die Voraussetzungen über die Eintragung und Löschung in die elektronische Datenbank regelt, ist bereits im Juli 2017 in Kraft getreten. Seither dauern Umsetzung und Aufbau des beim Bundeskartellamt geführten Registers aufgrund der technischen und organisatorischen Anforderungen an. Mit der Wettbewerbsregisterverordnung (WRegVO), die zeitnah in Kraft treten dürfte, werden die Bestimmungen des WRegG weiter konkretisiert und umgesetzt. Auch durch die kürzlich in Kraft getretene 10. GWB-Novelle wurde das WRegG nochmals geändert und auch vom Inkrafttreten der WRegVO entkoppelt, weshalb das Bundeskartellamt jetzt bereits starten konnte.
Das Bundeskartellamt spricht nun nach und nach Gruppen von öffentlichen Auftraggebern an, beginnend mit obersten Bundesbehörden. Danach folgen ab Mitte April 2021 die obersten Landesbehörden und ab Mai 2021 weitere Auftraggeber, etwa auf Ebene der Kommunen. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) geht davon aus, dass sich insgesamt zirka 30.000 öffentliche Auftraggeber registrieren werden.
Erst in einem letzten Schritt und nach einer sechsmonatigen Übergangsfrist (vgl. § 12 WRegVO) beginnt dann die tatsächliche Abfragepflicht. Diese Frist läuft, sobald das BMWi im Bundesanzeiger veröffentlicht hat, dass die technischen Voraussetzungen für eine elektronische Kommunikation mit der Registerbehörde vorliegen. Spätestens im Herbst 2021 dürfte es damit ernst werden.

Selbstreinigung
Grundsätzlich sind Eintragungen wegen besonders schwerwiegender Verfehlungen, insbesondere aus dem Katalog der zwingenden Ausschlussgründe in § 123 GWB, nach fünf Jahren aus dem Wettbewerbsregister zu löschen. Alle anderen Eintragungen, dazu gehören auch Verstöße gegen das Kartellverbot, sollen spätestens nach drei Jahren ab dem Tag der Bestandskraft der behördlichen Entscheidung gelöscht werden. Das heißt, dass einerseits alle vergangenen Kartellverstöße erfasst sind und, nicht nur solche, die einen Bezug zu der konkreten Vergabe haben. Andererseits genügt die kartellbehördliche Entscheidung; etwaige Rechtsmittel verhindern die Eintragung bei Kartellverstößen nicht.
Ein Unternehmen kann aber vorzeitig aus dem Wettbewerbsregister gelöscht werden, wenn es eine ausreichende Selbstreinigung nachweisen kann (§ 8 WRegG i. V. m. § 125 GWB). Eine Selbstreinigung setzt voraus, dass (i) ein etwaig verursachter Schaden kompensiert wurde, (ii) der Sachverhalt in aktiver Zusammenarbeit mit Behörden (und Auftraggebern) aufgeklärt wurde und (iii) geeignete Maßnahmen in personeller, technischer und organisatorischer Art getroffen wurden, um weitere Straftaten oder Fehlverhalten zu vermeiden. Insbesondere die letztgenannte Voraussetzung erfasst die Errichtung eines Compliance-Programms. Dabei sind Art und Umfang der Compliance abhängig von der Unternehmensgröße und Schwere des Verstoßes.
Auf Antragstellung des Unternehmens ermittelt das Bundeskartellamt den Sachverhalt von Amts wegen und bewertet die ergriffenen Selbstreinigungsmaßnahmen. Durch die WRegVO wird der Umfang etwaiger Selbstbereinigungsmaßnahmen weiter konkretisiert. Nach § 11 Abs. 1 WRegVO ist das Bundeskartellamt berechtigt, zur Bewertung eines Antrags auf Löschung geeignete Gutachten oder andere Unterlagen zur Einschätzung der vorgenommenen Selbstreinigungsmaßnahmen zu fordern und dabei auch Vorgaben hinsichtlich des zu begutachtenden Sachverhalts oder der zu begutachtenden Themen zu machen. Dabei obliegen gemäß § 11 Abs. 2 WRegVO die Auswahl und Beauftragung des sachkundigen und insbesondere unabhängigen Gutachters dem Unternehmen. Zur Beurteilung der Unabhängigkeit muss das Unternehmen bei Benennung des Gutachters mitteilen, ob und in welchem Umfang der Gutachter in den vergangenen zwei Jahren für das Unternehmen selbst oder für ein mit diesem verbundenen Unternehmen tätig gewesen ist. Das Bundeskartellamt kann ungeeignete Gutachter ablehnen.
Es wird sich zeigen müssen, welche Anforderungen das Bundeskartellamt an die Sachkunde und Unabhängigkeit der Gutachter stellt. Als Gutachter kommen insbesondere Rechtsanwälte in Betracht, die nachweislich über Expertise in dem betroffenen Rechtsgebiet verfügen. Da der Rechtsanwalt nach § 1 BRAO „[…] ein unabhängiges Organ der Rechtspflege“ ist, dürfte die genannte Beschränkung der Abhängigkeit der Unternehmen nicht für Rechtsanwälte gelten.

Wann ist Compliance ausreichend?
Zwar ist anerkannt, dass die Errichtung von Compliance-Programmen Voraussetzung für eine Selbstreinigung ist, bislang sind in der Praxis die für eine ausreichende Selbstreinigung erforderlichen (Mindest-)Anforderungen an kartellrechtliche Compliance-Maßnahmen jedoch weitgehend ungeklärt. Dies muss sich künftig ändern. Wegen der weitreichenden (wirtschaftlichen) Folgen für Unternehmen, die in das Wettbewerbsregister eingetragen werden, ist es von großer Bedeutung, dass das Bundeskartellamt künftig Rechtssicherheit bei der Beurteilung der Selbstreinigung schafft. Das Bundeskartellamt wird als Registerbehörde im Rahmen des geschilderten vergaberechtlichen Selbstreinigungsprozesses daher ganz konkret in die Pflicht genommen, Compliance-Maßnahmen der betroffenen Unternehmen zu prüfen. Daneben ist das Bundeskartellamt nach § 8 Abs. 5 WRegG verpflichtet, Leitlinien zur Anwendung der Selbstreinigung zu veröffentlichen.
Das Bundeskartellamt ist dabei ohnehin auch durch die jüngste Novellierung des Kartellrechts mit der 10. GWB-Novelle gezwungen, Aussagen zur Effektivität von Compliance-Programmen zu treffen, da diese seit Inkrafttreten der Novelle auch bei der Bemessung von Bußgeldern Berücksichtigung finden. Dies steht zudem im Einklang mit dem aktuellen Regierungsentwurf zum Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft (das sogenannte Verbandssanktionengesetz), wonach das Gericht „[…] vor der Verbandstat getroffene Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Verbandstaten“ bei der Bemessung der Verbandsgeldsanktion berücksichtigen kann.
Nach der Gesetzesbegründung zur WRegVO strebt der Gesetzgeber an, die Anforderungen an die Zulassung von Compliance-Systemen unabhängiger Stellen in einer künftigen Novelle der WRegVO zu regeln. Danach kann das Bundeskartellamt durch Verordnung ermächtigt werden, Systeme unabhängiger Stellen zuzulassen, mit denen geeignete Vorsorgemaßnahmen zur Verhinderung zukünftiger Verfehlungen für die Zwecke des Vergabeverfahrens belegt werden können. Aktuell mangele es noch an der notwendigen praktischen Erfahrung des Bundeskartellamts bei der Prüfung von Selbstreinigungsanträgen. Deshalb werde angestrebt, auf Grundlage der Erfahrung, die das Bundeskartellamt durch den Betrieb des Wettbewerbsregisters innerhalb der ersten drei Jahre sammelt, die Anforderungen an solche Systeme durch eine Ergänzung der WRegVO festzulegen.
Insoweit ist zu erwarten, dass in Zukunft eine verlässliche Praxis hinsichtlich der Anforderungen an Compliance-Maßnahmen entsteht. Das Bundeskartellamt wird verpflichtet, klar Stellung zu beziehen, wie ein effektives Compliance-Programm gestaltet werden muss, um den Anforderungen des Selbstbereinigungsprozesses zu entsprechen. Auch im Rahmen der Bußgeldbemessung muss das Bundeskartellamt künftig Ausführungen zu „angemessene[n] und wirksamen[n] Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Zuwiderhandlungen“ machen. Dies erhöht den Stellenwert von Compliance in Unternehmen und schafft neue Anreize, Compliance-Maßnahmen laufend zu prüfen und zu aktualisieren.

Ausblick
Es bleibt abzuwarten, wie detailliert das Bundeskartellamt seine Leitlinien zum Selbstreinigungsprozess ausgestalten wird und inwieweit sich die Behörde auch in anderen Bereichen daran gebunden fühlt. Betroffenen Unternehmen dürfte aber künftig eine echte Hilfestellung an die Hand gegeben werden, was künftig für mehr Rechtssicherheit beim Thema Compliance führen sollte. Wünschenswert wäre eine offizielle Bekanntmachung seitens des Bundeskartellamts, in der wenigstens die (Mindest-)Anforderungen für effektive Compliance dargelegt werden. Diese Bekanntmachung kann dann sowohl im Rahmen der Bußgeldberechnung als auch zu Zwecken der Selbstreinigung zugrunde gelegt werden. Der Gesetzgeber hat jedenfalls den Weg geebnet. Das Bundeskartellamt kann nun die Möglichkeit nutzen, die Grundpfeiler eines Compliance-Programms festzulegen. Dies würde die behördliche Arbeit ebenso erleichtern wie die Arbeit der Unternehmen.

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tim.heintze@linklaters.com

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